Die Zeit des Absurden

Als ich vor kurzem in Schweden war, hatte ich eine Biographie von Camus mitgenommen. Ich musste mich erst ein wenig einlesen, aber dann packte mich dieses Buch. Ganze Seiten geben die Gedanken eines Menschen wieder, der aus einer anderen Zeit stammt, sich aber mit Gedanken trägt, die mir auch heute etwas bedeuten. Gedanken, die für meine Realität Kraft und Relevanz haben.

Camus habe in den frühen Jahren tief und heftig gelebt, so steht es in einer Biografie. Jeder einzelne Tag schien ihm wertvoll. Nur so konnte man wohl 1940 in Frankreich leben. Ganz den Geist des Tages aufsaugen und nicht an das nahende Schicksal denken.

Und einen Schritt weiter: „Je sinnloser die Welt um uns herum erscheint, um so heftiger werde diese Zeit erlebt“, so Camus. Die eigenen Lebenslügen und die großen Ideale der Zeit machten noch immer Versprechungen auf eine Zukunft, die sich bald gänzlich anders darstellen sollte. Zunehmend musste den Menschen ihre Zeit absurd vorkommen. Camus behauptete, dass das Gefühl des Absurden den Menschen jederzeit erfassen, ja anspringen könne. Jene Jahre boten dafür Raum genug.

Auch heute leben wir in einer Zeit des Absurden. Nehmen wir die NSA-Affäre als ein Beispiel. Wie absurd ist es, wenn wir hart erstrittene Bürgerrechte wie das digitale Postgeheimnis individuell nicht mehr wertschätzen? Wenn wir deshalb im vorauseilenden Gehorsam auf unserem Anrufbeantworter nicht mehr den eigenen Namen nennen, sind wir dann noch mündige Bürger im eigentlichen Wortsinn? Gleichen wir nicht eher Schauspielern, die jeden Morgen aus ihren Doppelhaushälften heraustreten und den Sisyphos geben.

Wenn über Jahre hinweg neue Schauernachrichten über Geheimdienste, Ermittlungsmethoden und unsere Spuren im Netz veröffentlicht werden, dann ist es absurd nicht einen einzigen ernsten Gesetzentwurf zu diesem Thema vom Bundestag präsentiert zu bekommen. Es ist absurd, keine wirkliche politische Debatte zu führen. Es ist absurd, dass wir einfach still halten, wenn uns Bürgerrechte genommen werden.

Doch wir nehmen das Leben zunächst so hin. Es erscheint uns normal. Wir tun es den Vielen gleich. Und damit stopft uns das Leben das Maul - wie Camus schon damals meinte. Wer weiß denn überhaupt noch wie revoltieren geht? Ich kann mich nicht gegen 280 Lastwagen stellen, die Putin weiß lackieren und von der Orthodoxie mit Weihrauch besprenkeln lässt, bevor sie Kriegsgerät transportieren.

Aber ich kann klare Worte wählen, ich kann Gespräche im Freundes- und Bekanntenkreis führen. Ich kann die Perspektive wahren, wenn mich das Absurde täglich anfällt. Schließlich weiß mein Inneres genau, was richtig und was falsch ist. Deshalb darf ich Absurdität benennen und deutlich kritisieren.

Das tue ich dieser Tage öfters. Schließlich gibt es Anlässe genug. Ich selber werde hingegen selten auf Absurdes angesprochen. Ich bekomme gar nicht mit, ob meine Freunde und Bekannte die heutige Zeit tatsächlich auch absurd finden. Spätestens hier schleicht sich ein leiser Gedanke ein: am I the only one; bin ich der, der im falschen Augenkino sitzt?

Das möchte ich gerne herausfinden. Deshalb frage ich euch: was findet Ihr absurd? Was sind die Dinge, die euch aus der Bahn werfen, wo Ihr Unverständnis äußert?

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